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Beim Kardiologen

Beim Kardiologen

Immer und immer wieder
gibt die freundliche Dame
am Empfang
meine Daten in den Computer ein
doch vergebens.
Ich bin Ausländer
und mein Herz
passt nicht
ins System.

Sofia, 10.02.2017

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Сутрешен диалог

Витошка. Млад човек, тип “Market Research Assistant”, търси кандидати за изследване.

Той (с усмихнато лице): “Добър ден! Аз търся приятни хора!”

Аз (с усмихнато лице): “Успех! Аз съм страшно неприятен!”

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was ich vermisse

was ich vermisse

die freundlichkeit und wärme der menschen
die reisfelder neben meinem büro
den mangobaum und die bank vor meinem haus
auf der eine java-katze
klein und feingliedrig
ihre jungen zur welt brachte
die intensität der geräusche gerüche gefühle
das essen das schmackhaft zu nennen
eine nichtssagende untertreibung wäre
die sonnenaufgänge
gleichermassen atemberaubend
auf einem hügel in der nähe von borobudur
auf dem dieng-plateau
im dschungel von kalimantan
oder beim vulkan bromo
die epischen sonnenuntergänge
am pantai parangtritis am indischen ozean
oder in lovina am pazifik
wo wir am nächsten morgen die springenden thunfische
irrtümlich für delphine hielten
die dann aber auch in grosser zahl erschienen
und ihr schauspiel aufführten
die gamelanmusik
meditativ-entspannend am hof des sultans von yogyakarta
expressiv-dynamisch in bali
das ramayana-ballett vor dem tempel von prambanan
der kecak-tanz in tanah lot
(sei gegrüsst walter spies)
den anblick des merapi von meinem fenster aus
ein beständiges memento mori
die besuche in den werkstätten der handwerker
und in der fabrik aus der der braune zucker kommt
rohrzucker, unraffiniert
(die maschinen made in GDR
also vor suhartos putsch importiert)
die bescheidenen friedhöfe und mahnmale
für die massakrierten chinesen
die aufwendigen schnitzereien
auf den friedhöfen der dayak
die strassenmusikanten am abend
die transsexuellen tänzer an den roten ampeln am morgen
die ateliers der befreundeten künstler
und die galerien in jogja bandung magelang jakarta
der wunderbare botanische garten in bogor
aus dem sich der geheimrat
(korrespondierendes mitglied der botanischen gesellschaft dortselbst)
pflanzensamen und setzlinge nach weimar schicken liess
tempoe duluh in malang
wo der internierte dichter max dauthendey
an einer unheilbaren krankheit starb: heimweh
salatiga wo rimbaud endgültig von der dichtung abschied nahm
kampoeng arap in semarang
wo schiller vielleicht sein späteres leben verbracht hätte
wäre er nicht rechtzeitig desertiert
vieles was ich nicht beschreiben kann
und was mich daran erinnert
dass das leben eine ewige abfolge von wiederkehrten ist
heute lebendig morgen tot übermorgen wiedergeboren
in unerwarteter gestalt
die sinnlichkeit die über allem liegt
dich

 

Sofia, 13.11.2016

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A long-term assignment

I got via email an invitation to be a tester of the Pokemon version 2017. It comes with an iPhone6s for free, various other knick-knacks, and 385 Euro per month for one monthly report (obviously this is a long-term or maybe life-time assignment).

And probably it will also look outstanding in my CV when I can mention later my experience as an official Pokemon tester?!

But on a more serious note: what the heck is Pokemon???

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verschneite landschaft mit R.W.

verschneite landschaft mit R.W.

das photo, schwarzweiss
auf den ersten blick anscheinend nichts besonderes darauf
für einen weihnachtstag im gebirge
eine schneelandschaft
die du wohl trotz deines alters
mit kräftigen raumgreifenden schritten durchquert hast
das geländer
an dem du dich wahrscheinlich nicht festgehalten hast
die festen und sicheren abdrücke deiner winterstiefel
die der einzige luxus waren, den du dir geleistet hast
wohlverdient nach jahrelanger arbeit
beim abwaschen der tische in der anstalt
und beim kleben von tüten
eine nützlichere beschäftigung als das schreiben von büchern
(dein letztes fand genau siebzehn käufer)
du hattest wie die figuren aus deinem werk
den wahnsinn schon hinter dir
und warst geheilt
als dir der hut vom kopf rollte
und ein stückchen neben deinem körper
im schnee liegenblieb

Podgorica, 14.08.2016

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vielleicht

vielleicht

vielleicht ein häuschen mit garten, den mittelklassewagen in der garage
(die hypothek ist in dreißig jahren abbezahlt)
eine nette frau und vielleicht ein oder zwei kinder
eine sichere arbeit, vielleicht als lehrer oder sparkassenangestellter
alles so wie bei den andern
nur vielleicht eine spur grösser und adretter
die vorstellungen meiner eltern von einem gelungenen leben für mich
waren überschaubar und bodenständig
nicht überraschend in anbetracht dessen was sie erlebt hatten

vielleicht gab es ja doch eine verwechslung im krankenhaus nach der geburt
wie wären sie sonst zu diesem nomadensohn gekommen

Skopje, 29.07.2016


 

Auf Bulgarisch kann man das Gedicht hier lesen – vielen herzlichen Dank wieder an Vladimir Sabourin!

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Anekdote aus dem Kalten Krieg

H. war in den ersten Jahren, nachdem er als Ergebnis schier endloser Fahrstunden den Führerschein bei der Bundeswehr erworben hatte, ein grottenschlechter Autofahrer. Das allein wäre sicher nicht der Erwähnung wert, jedoch wollte es eine Instanz, die wir für gewöhnlich gedankenlos “Schicksal” nennen, die aber einfach das Resultat bürokratischer Prozesse war, deren Logik sich dem Normalsterblichen entzog, dass H. in seiner Dienstzeit beim Militär – 15 Monate und 12 Tage; die 12 Tage sind eine andere Geschichte, die hier nichts zur Sache tut – nicht nur als Nachschubbuchführer, sondern auch als Kraftfahrer, und zwar als Chauffeur von Staffelführer Hauptmann Z., Dienst tun sollte. Der Staffelführer, ein korrekter, wenngleich manchmal leicht cholerischer Mann, schätzte H.’s unsicheren und leicht chaotischen Fahrstil durchaus nicht. Ein Unfall mit Sachschaden trug dazu bei, dass beide, H. und Z., der nächsten gemeinsamen Autofahrt mit erheblicher Nervosität entgegensahen.

Am betreffenden Morgen setzte sich Z. etwas zögerlicher als sonst in den Dienstwagen, den H. steuern sollte. Nachdem der Wagen das Kasernentor passiert hatte und um die erste Kurve gebogen und das Kasernengelände außer Sicht gelassen hatte, gab Z. das für H. überraschende Kommando: “Anhalten!” Kaum zum Stillstand gekommen erfolgte ein noch überraschenderes zweites Kommando: “Aussteigen! Fahrerwechsel!” Reichlich verdutzt stieg H. aus und ging um das Fahrzeug herum zur Beifahrertür, während der entschlossen wirkende Z. sich bereits ans Steuer des Wagens gesetzt hatte. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln fuhren Gefreiter H. und der ihn chauffierende Hauptmann Z. an diesem Tag mehrere hundert Kilometer und absolvierten, von mehreren ebenfalls schweigend verbrachten Kaffee- und Essenspausen unterbrochen ihr Tagespensum, dessen Sinn sich H. ebenso wenig erschloss wie sein Dienstposten als Fahrer.

Als sie am Abend auf der Rückfahrt wieder an den Platz kamen, wo morgens der unerwartete Fahrerwechsel stattgefunden hatte, hielt Z. den Wagen an und stieg mit dem diesmal eine Spur beiläufiger klingenden Kommando: “Fahrerwechsel!” aus, wonach sie erneut die Plätze tauschten und H. die letzten 200m den Wagen mit Hauptmann Z. auf dem Beifahrersitz in die Kaserne lenkte, so dass für Außenstehende keineswegs etwas Bemerkenswertes zu verzeichnen war. Dieses kleine Schauspiel für den Rest der Kompanie, die von dem Geheimnis, dass der Hauptmann und der Gefreiter teilten, nie etwas erfahren sollten, wiederholte sich von diesem Moment an während des überwiegenden Teils von H.’s Dienstzeit mehrmals wöchentlich.

Auf die gelegentliche Frage, wie er denn seine Militärzeit zugebracht habe, antwortete H. später stets wahrheitsgemäß, dass er, H., diese Zeit hauptsächlich damit verbracht habe, sich von seinem Dienstvorgesetzten tagelang durch den Hunsrück und den Westerwald chauffieren zu lassen.

Prishtina, 23.07.2016 

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die katze döst auf dem heißen pflaster

die katze döst auf dem heißen pflaster
ihre atemzüge sind fast unmerklich
aber regelmäßig
sie weiß nicht
dass wir das zeitalter der ausbeutung
immer noch nicht beendet haben
sie weiß nicht
dass der mensch immer noch
dem menschen ein wolf ist
sie weiß nicht
dass das angeblich einzige lebewesen
welches zu mitgefühl und nächstenliebe fähig ist
trotzdem immer neue methoden der versklavung
folter und auslöschung ersinnt und anwendet
jetzt schlägt sie ihre geheimnisvollen
ägyptischen augen auf
und sieht mich an
sie weiß nicht
warum ich mich schuldbewusst
abwende

 

Herceg Novi, 10.07.2016

Eine bulgarische Übersetzung dieses Gedichts durch den Dichter und Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Vladimir Sabourin von der Uni Veliko Tarnovo findet sich hier. Dort gibt es auch ein mir gewidmetes Gedicht – welche Ehre! Danke, Vladimir!

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zwei drittel

zwei drittel des glases
ausgetrunken
der rest
schon etwas schal
und abgestanden

weh dem
der symbole sieht

 

Herceg Novi, 10. Juli 2016

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