H. war in den ersten Jahren, nachdem er als Ergebnis schier endloser Fahrstunden den Führerschein bei der Bundeswehr erworben hatte, ein grottenschlechter Autofahrer. Das allein wäre sicher nicht der Erwähnung wert, jedoch wollte es eine Instanz, die wir für gewöhnlich gedankenlos “Schicksal” nennen, die aber einfach das Resultat bürokratischer Prozesse war, deren Logik sich dem Normalsterblichen entzog, dass H. in seiner Dienstzeit beim Militär – 15 Monate und 12 Tage; die 12 Tage sind eine andere Geschichte, die hier nichts zur Sache tut – nicht nur als Nachschubbuchführer, sondern auch als Kraftfahrer, und zwar als Chauffeur von Staffelführer Hauptmann Z., Dienst tun sollte. Der Staffelführer, ein korrekter, wenngleich manchmal leicht cholerischer Mann, schätzte H.’s unsicheren und leicht chaotischen Fahrstil durchaus nicht. Ein Unfall mit Sachschaden trug dazu bei, dass beide, H. und Z., der nächsten gemeinsamen Autofahrt mit erheblicher Nervosität entgegensahen.
Am betreffenden Morgen setzte sich Z. etwas zögerlicher als sonst in den Dienstwagen, den H. steuern sollte. Nachdem der Wagen das Kasernentor passiert hatte und um die erste Kurve gebogen und das Kasernengelände außer Sicht gelassen hatte, gab Z. das für H. überraschende Kommando: “Anhalten!” Kaum zum Stillstand gekommen erfolgte ein noch überraschenderes zweites Kommando: “Aussteigen! Fahrerwechsel!” Reichlich verdutzt stieg H. aus und ging um das Fahrzeug herum zur Beifahrertür, während der entschlossen wirkende Z. sich bereits ans Steuer des Wagens gesetzt hatte. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln fuhren Gefreiter H. und der ihn chauffierende Hauptmann Z. an diesem Tag mehrere hundert Kilometer und absolvierten, von mehreren ebenfalls schweigend verbrachten Kaffee- und Essenspausen unterbrochen ihr Tagespensum, dessen Sinn sich H. ebenso wenig erschloss wie sein Dienstposten als Fahrer.
Als sie am Abend auf der Rückfahrt wieder an den Platz kamen, wo morgens der unerwartete Fahrerwechsel stattgefunden hatte, hielt Z. den Wagen an und stieg mit dem diesmal eine Spur beiläufiger klingenden Kommando: “Fahrerwechsel!” aus, wonach sie erneut die Plätze tauschten und H. die letzten 200m den Wagen mit Hauptmann Z. auf dem Beifahrersitz in die Kaserne lenkte, so dass für Außenstehende keineswegs etwas Bemerkenswertes zu verzeichnen war. Dieses kleine Schauspiel für den Rest der Kompanie, die von dem Geheimnis, dass der Hauptmann und der Gefreiter teilten, nie etwas erfahren sollten, wiederholte sich von diesem Moment an während des überwiegenden Teils von H.’s Dienstzeit mehrmals wöchentlich.
Auf die gelegentliche Frage, wie er denn seine Militärzeit zugebracht habe, antwortete H. später stets wahrheitsgemäß, dass er, H., diese Zeit hauptsächlich damit verbracht habe, sich von seinem Dienstvorgesetzten tagelang durch den Hunsrück und den Westerwald chauffieren zu lassen.
Prishtina, 23.07.2016
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