Monthly Archives: January 2019

Christoph Hein und “Das Leben der Anderen”

Christoph Hein ist ein Autor, den ich sehr schätze. Über seinen Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 24. Januar “Warum ich meinen Namen aus “Das Leben der Anderen” löschen ließ” (ein Vorabdruck aus einem bald erscheinenden neuen Buch von ihm) habe ich mich aber sehr geärgert, beim zweiten Lesen sogar noch mehr als beim ersten.

Zunächst: ich will hier gar keine Filmkritik zu „Das Leben der Anderen“ schreiben. Wie bei jedem Film, Buch oder sonstigem Erzeugnis im schöpferischen Bereich kann man bei seiner Beurteilung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ja, der Film ist melodramatisch – das kann man mögen oder auch nicht. Ja, in dem Film gibt es einiges, was sich genauso in der DDR nie hätte zutragen können. Auch das kann man verschieden sehen, entweder als fehlende historische Genauigkeit oder als künstlerische Freiheit des Autors, in diesem Fall des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck. Ich fand den Film gut gespielt und unterhaltsam und sicherlich auch für Zuschauer außerhalb des deutschen Kontexts sehenswert. Aber darum geht es mir hier nicht. Es geht mir hier um Heins Text.

Der Text beschreibt eine offensichtlich sehr tiefe (narzisstische?) Kränkung, die der Autor Christoph Hein erlitten hat und für die er sich mit diesem Artikel mit sehr großer Zeitverzögerung rächen möchte. So lese ich es jedenfalls. Im Fußball würde man von „Nachtreten“ sprechen. Schon die Tatsache, dass er Henckel von Donnersmarck nie beim Namen nennt – es heißt durchgängig „der Regisseur“ – ist auffällig, besonders da er im Gegensatz dazu den Schauspieler Ulrich Mühe, nein seinen „Freund Ulrich Mühe“, mehrfach beim Namen nennt, obwohl dieser für den Sachverhalt von dem die Rede ist nicht von zentraler Bedeutung ist. (Allerdings frage ich mich auch, ob die Freundschaft wirklich so groß gewesen ist, da Mühe anscheinend nichts davon verlauten ließ, dass der Film nicht die von Hein erwartete Hein-Lebensverfilmung werden würde. Ein Freund hätte wohl im Lauf der Dreharbeiten oder schon vorher vielleicht mal angerufen oder darüber gesprochen, wenn – wie Hein es darstellt – klar war, dass dies ein Christoph-Hein-Film werden sollte.) Mit Verlaub, das ist unhöflich und wirkt arrogant, werter Christoph Hein. Sogar ein sehr großer und sehr junger Filmregisseur aus Westdeutschland (offenbar sind all das für den Autor Hein schwere Charakterfehler) hat es verdient, mit seinem Namen erwähnt zu werden. (Der einleitende fettgedruckte Satz stammt wohl von der Süddeutschen Zeitung, ebenso wie die Artikelüberschrift.)

Ich staune auch sehr, wieso Christoph Hein annimmt, dass sich Henckel von Donnersmarck mit niemand anderem als mit ihm unterhalten hat, bevor er den Film machte. Zudem muss man schon ein sehr großes Ego haben, um zu glauben, dass „Das Leben der Anderen“ als Christoph-Hein-Biopic angelegt ist. Henckel von Donnersmarck ist kein Breloer, und es ist für mich geradezu absurd, dass Hein uns allen Ernstes weismachen will, dass der Regisseur eine Verfilmung seines (Heins) Lebens in der DDR geplant hatte. Wenn er schreibt „Im Kino sitzend hatte ich erstaunt auf mein Leben geschaut“, dann nehme ich ihm dieses Erstaunen nicht ab. So grenzenlos naiv und unverständig kann Christoph Hein, der ein sehr intelligenter, kluger Mann ist, nicht gewesen sein. Ich finde diesen Satz extrem unglaubwürdig.

Ob Henckel von Donnersmarck tatsächlich davon gesprochen hat, dass er Hein „unsäglich dankbar“ ist, kann niemand entscheiden. Entweder hat sich Hein diese sprachlich missglückte Ausdrucksweise ausgedacht, oder wenn Henckel von Donnersmarck es so gesagt haben sollte, verstehe ich nicht, warum er diesen offenbaren Versprecher gleich zweimal herausstellt. Es soll wohl heißen: der Regisseur, der es nicht einmal wert ist, dass ich ihn beim Namen nenne, ist eben nicht nur ein sehr großer, sehr junger Westdeutscher – er kann auch noch nicht einmal richtig Deutsch. Mit so einem ungebildeten, unkultivierten Kerl hatte ich, der geniale, unfehlbare Christoph Hein, auf dessen Lebensverfilmung die Welt wartete, es zu tun.

Ganz schlechter Stil, werter Christoph Hein. Ich wundere mich, dass Sie so etwas nötig haben!

Wenn Christoph Hein allerdings davon spricht, dass er vermeidet, Äußerungen von Henckel von Donnersmarck als Lüge zu bezeichnen, weil es neben der Wahrheit auch noch die melodramatische Wahrheit und „alternative Fakten“ gebe, so ist das kein schlechter Stil mehr, es ist infam. Und es fällt auf den Autor Christoph Hein zurück, der zwar behauptet, dass er seinen Namen aus dem Vorspann des Films löschen ließ, der aber jetzt eingestehen musste, dass das nicht stimmt. Diesen Vorspann gab es nie, und im Nachspann ist Christoph Hein als historischer Berater bis heute genannt, zusammen mit vielen weiteren Namen von Personen, mit denen der Regisseur in diesem Zusammenhang ebenso wie mit Hein sprach. Und auch der Dialog zwischen Autor und Regisseur selbst fand zu einem Zeitpunkt statt, als das Filmprojekt schon sehr weit fortgeschritten war. Eine “Kleinigkeit”, die Hein ebenfalls verschweigt.

Ob man den Text Heins daher als Wahrheit, melodramatische Wahrheit oder „alternatives Faktum“ bezeichnen will, ist jedem Leser selbst überlassen. Ich habe mir meine Meinung dazu auf der Basis der Fakten und von Heins Text gebildet.

Christoph Hein schätze ich als Autor nach wie vor, ein Autor allerdings der in diesem Fall jegliche intellektuelle Redlichkeit vermissen lässt; der Mensch Christoph Hein ist mir nach diesem Artikel deutlich unsympathischer geworden. 

© Thomas Hübner and Mytwostotinki, 2014-9. Unauthorized use and/or duplication of this material without expressed and written permission from this blog’s author and/or owner is strictly prohibited. Excerpts and links may be used, provided that full and clear credit is given to Thomas Hübner and Mytwostotinki with appropriate and specific direction to the original content.

Dovlatov – The Film

A film about the Russian writer of the same name, that depicts a few days of his life in Leningrad in the early 1970s. Beautifully shot, this film has received mostly positive reviews. Nevertheless, I am somewhat disappointed; the wit and the power of Dovlatov’s books are almost absent in the film, and the plot is a faint reflection of what the writer himself has described in his autobiographical books, especially in The Suitcase and Pushkin Heights. The Dovlatov in the film is a rather colorless character and the artistic milieu of the film is very clichéd. Who wants to know who Dovlatov was, must read his books. And they are anyway by far more entertaining than the movie.

Dovlatov – Russia, 2018, 126 minutes; Director: Aleksei German jr.; Screenplay: Aleksei German jr. and Yuliya Tupikina; Actors: Milan Marić, Danila Kozlovsky, Helena Sujecka, Artur Beschastny, Anton Shagin, Svetlana Khodchenkova, Elena Lyadova et al.

I read the following three books by Sergei Dovlatov recently, and I can recommend them wholeheartedly:

The Zone, translated by Anne Frydman, Alma Classics 2013

The Zone

The Suitcase, translated by Antonina W. Bouis, Alma Classics 2013 

The Suitcase

Pushkin Hills, translated by Katya Dovlatova, Alma Books 2013 

Pushkin Hills
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Blog Statistics for 2018

It is already a tradition to start the new year with a little bit of statistics at Mytwostotinki.

According to the WordPress statistics feature, the blog was visited 4235 times in 2018 (compared to 7154 in 2017). The blog had 3285 unique visitors (4979 in 2017).

The visitors came from 95 different countries. Most of them are from the USA, Germany, Bulgaria, the United Kingdom and Moldova (last year: USA, Bulgaria, United Kingdom, Germany, Turkey).

I published 49 blog posts (24), of which 32 were in English, 12 in German, and 5 in Bulgarian.

Most viewed posts in 2018 were “The Devil within”, “Tschick or Why We Took the Car”, and “The Bleeding of the Stones” (as compared to “Logic for Democrats”, “The Devil within”, and “Tschick” in 2017.).

The original languages of books mentioned or reviewed last year on the blog: German 74(5), Bulgarian 50(7), English 16(2), French 2(0), Albanian 2(0), Russian 1(0), Serbian 1(0). (Last year there were 2 books from Turkish and one each from Japanese and Italian mentioned/reviewed on the blog.)

The blog had at the end of the year 2018 1221 followers on Twitter (1202) and 797 on Facebook (686).

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